Freitag, 28. Oktober 2016

Werde Guerilla-Grafter

Mit einem Messer und wenig Aufwand lassen sich Waldrand und Windschutzgürtel in eine Open-Source-Obsthecke verwandeln und das Wildholz am Uni-Campus oder das Gestrüpp im Schulhof zum Obstbaum upgraden. Werde Baumpate und ernte edles Obst!


Du brauchst einen Komplizen: »Grafting erledigt man am besten mit vier Händen, besonders wenn du ohne Erlaubnis ans Werk gehst«, heißt es in Guerrilla Grafting, a How-to Guide. Denn: »Ihr werdet zu zweit effizienter sein und eher offiziell wirken, besonders wenn ihr dabei nicht wie besoffene Amateure ausseht.« So schätzt man die Sache in San Francisco ein, einst Hochburg der Hippiebewegung und Ursprungsort so mancher Gegenkultur. Besser als ein verstohlener Komplize ist nur eine Genehmigung. Und die solltest du dir besorgen. Dann brauchst du nichts Offizielles vorgeben, dann bist du offiziell. Im Idealfall holst du damit sogar deine Gemeinde oder die Stadtverwaltung als Gleichgesinnte an deine Seite. Womit gleich viel weniger schiefgehen kann beim Guerilla-Grafting. Genau genommen haben wir es dann zwar nicht mehr mit einer Guerilla-Aktion zu tun. An der Sache freilich ändert das gar nichts.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir reden hier nicht vom Crafting, also nicht vom Handwerk oder gar den Hervorbringungen handwerklichen Geschicks. Nein, wir reden vom Grafting – mit Gustav, nicht Cäsar. Ins Deutsche übersetzt bedeutet to graft nichts anderes als veredeln, pfropfen oder transplantieren. Ein wenig Fingerfertigkeit werden du und deine Mitstreiter brauchen, wenn ihr euch am Wegesrand, auf Brachflächen oder barfuß im Park ans Veredeln macht, um Wildhölzern obenauf fruchttragende Edelreiser (also kurze Zweige einer Edelsorte) zu verpassen. Genau darum geht es beim Grafting: Aus zwei mach eins! Zwei Pflanzenteile ergeben gemeinsam einen Obstbaum. Dabei stellt eine mehr oder weniger wild gewachsene Pflanze die sogenannte Unterlage für ein aufveredeltes Edelreis dar. Mit dem Edelreis transplantierst du gewissermaßen die gewünschten Eigenschaften einer bestimmten Sorte auf einen Wildling.
Das klingt sehr unromantisch, ich weiß. Aber genau das macht letztlich Kultur aus. Und als Königsdisziplin ließen sich da – ganz ohne Gentechnik aus dem Labor – gleich mehrere Apfelsorten oder sogar unterschiedliche Arten auf ein und denselben Baum pflanzen. Anfänger befassen sich allerdings besser mit den Basics. »Wildobst hat optisch und ökologisch zweifellos seinen Reiz«, meint der auf Permakultur und Obstbau spezialisierte Agrarexperte Richard Mahringer. »Aber was den Aufwand bei der Ernte betrifft, etwa die Fruchtgröße oder die Anzahl der Früchte pro Baum, und auch was die Mengen und die Möglichkeiten der Verarbeitung angeht, etwa Kernlöslichkeit oder das Fruchtfleisch pro Frucht, da haben unsere Vorfahren uns durch ihre Selektion schon vieles erleichtert.«
Was kompliziert klingt, beschreibt eigentlich nur die Vorzüge von Sorten und Kulturpflanzen: Dieses Erbgut steht uns gratis – »quasi Open Source« (Mahringer) – zur Verfügung. Generationen vor uns wurde es mit dem klaren Ziel besserer Nutzbarkeit ausgewählt. Beispielsweise wurden so Sorten hervorgebracht, deren Früchte besonders gut und bis weit in den Winter hinein gelagert werden können; Sorten, die besonders viel Saft abwerfen oder sich ideal für Dörrobst eignen. Alles Eigenschaften, die nur ungeschlechtlich (vegetativ) weitergegeben werden können und nicht über Samen oder Kerne. Während die ungeschlechtliche Form der Vermehrung bei einigen Pflanzen (Feigen etwa) gut über Stecklinge funktioniert, sind wir bei Obstbäumen auf die vorhin geschilderte Veredelung angewiesen – genau: Grafting wie Gustav. Jedes Apfel-, Kirsch-, Marillen- oder Aprikosenbäumchen, das du beim Gärtner, im Gartencenter oder auf der Tauschbörse für alte Sorten kaufst, besteht deshalb aus zwei Teilen. Wenn du genau schaust oder ein wenig suchst, wirst du am Stamm auch die Stelle erkennen können, wo das Edelreis auf die Unterlage gepfropft wurde.
Die Idee hinter Guerilla-Grafting sieht nun zweierlei vor. Erstens: auf wild aufgegangene Pflanzen, die kaum oder nur kümmerliche Früchte abwerfen, Sorten zu pfropfen, die daraus einen ertragreichen Obstbaum machen. Zweitens, und darin besteht die besondere Kunst: dasselbe auch auf Waldbäumen zu tun, bei denen das gar nicht so selten ebenfalls funktioniert. Weitverbreitete Wildpflanzen wie Weißdorn, Vogelkirsche, Eberesche, auch Mehlbeere und Schlehe lassen sich zum Obstbaum umfunktionieren. So wird ein Weißdorn beispielsweise problemlos zur Quitte oder zur Unterlage für eine Birne. Wohnst du am Waldrand oder radelst du regelmäßig die Windschutzgürtel entlang, dann könntest du diese mit wenig Aufwand, einem scharfen Okuliermesser, einer Baumschere und Naturbast als Verbandsmaterial in eine öffentlich zugängliche Obsthecke verwandeln. Brauchbare Anleitungen zum Veredeln unterschiedlicher Arten findest du beispielsweise auf www.veredeln.info. Zudem gibt es zahlreiche Videoanleitungen auf YouTube.
Auch einschlägige Praxiskurse werden immer wieder angeboten, meistens musst du gezielt danach suchen. Nicht so im direkt an der Donau gelegenen oberösterreichischen Ottensheim. Anfang 2014 startete die fortschrittliche 4500-Seelen-Gemeinde unter ihrer damaligen Bürgermeisterin Ulrike Böker das Projekt »Kostbare Landschaften«. Der deklariert ganzheitlich-nachhaltige Anspruch: damit Raumplanung, Ortsentwicklung und die Grundbedürfnisse nach guter Nahrung, Kreativität und gesunder Umwelt zu vereinen und dabei auch noch die lokale Ernährungssouveränität zu stärken. Gemeinsam mit der Bevölkerung entstanden auf Brachen und Überschwemmungsflächen des Ortsgebiets öffentlich zugängliche Nachbarschafts- und Naschgärten, aber auch Naturerlebnisräume zur Selbsternte. Neben einem gemeinschaftlichen »Baumschnitt auf der Streuobstwiese« organisiert der Architekt und Stadtentwickler Christoph Wiesmayr auch Fortbildungskurse; 2015 wurde erstmals und mit großem Interesse Grafting für Anfänger angeboten: »Aus alten Beständen haben wir zuerst Edelreiser geschnitten und diese dann auf neue Unterlagen veredelt.« 200 »neue« Bäume entstanden in einer Saison. Wilde Kirschen wurden so zur Edelkirsche, Weißdorn zur Birne, und die Wildzwetschke gleich neben dem Pfarrhaus soll in Zukunft die wichtigste Zutat für Zwetschkenknödel liefern.
Jeder Seminarteilnehmer durfte außerdem selbst zwei, drei veredelte Bäumchen mit nach Hause nehmen. Denn die Weiterverbreitung der Idee, von Know-how und der für die Gegend typischen alten Sorten ist durchaus ebenfalls Sinn der Sache. Gemeinsam hat man in Ottensheim auch einen »Vermehrungsgarten« angelegt – als eine Art Genpool für regionale Obstkulturen, die sich in der Gegend bewährt haben, die im Gartencenter aber eher nicht zum Kauf angeboten werden. Dass das Konzept hinter »Kostbare Landschaften« aufgeht, davon ist Wiesmayr überzeugt: »Ich war früher oft rudern. Wenn ich heute zur Regattastrecke hinunter zum Fluss gehe und das Gebüsch am Wegesrand sind jetzt veredelte Obstbäume, dann erschließt einem das eine ganz neue Ebene.« Der vom Leben an der Donau geprägte Linzer bezeichnet sich selbst übrigens als »Rurbanist«, als Vermittler zwischen Stadt, Land und Fluss.
In großen Städten wurden die Obstbäume in den vergangenen Jahrzehnten vielerorts bewusst gerodet. Aus einem ganz banalen Grund und gespeist aus der Überflussgesellschaft: Weil das Obst oft nicht abgeerntet wurde, zog es manchmal nur Mäuse und Ratten an oder blieb faul auf Geh- und Bürgersteigen liegen und wurde dort als Unfallgefahr betrachtet. Stattdessen wurde rein dekoratives Buschwerk und Gehölz gesetzt, deren Samen oder Früchte möglichst wenig »Mist« machen, das im Frühling aber schön blüht.
Viele europäische Städte handhabten das nicht anders als San Francisco. Als dort vor ein paar Jahren einige Bürger mit ihrem Wunsch, in ihrer Wohnumgebung Obstbäume auszusetzen, bei der Stadtverwaltung abblitzten – obwohl sie sich klar bereit erklärt hatten, für die Bäume zu sorgen –, wurden sie kurzerhand als Guerilla-Grafter aktiv. Beim deklarierten Unterfangen, die Stadt Baum für Baum zum
»Food Forest« aufzuforsten, erlegten sie sich allerdings eine Art Ehrenkodex auf: Ein Baum wird nur dann veredelt, wenn es für ihn einen »committed caretaker« gibt, das heißt: jemanden, der sich als Baumpate darum kümmert, dass dieser abgeerntet und nötigenfalls gegossen wird; der darauf achtet, dass auch unreif heruntergefallene Früchte nicht verfaulen und Getier anlocken.
Im deutschsprachigen Raum ist das Ideal der Urbanisten und einschlägiger Aktivisten weniger der »Food Forest«, sondern eher die »essbare Stadt«. In der Praxis umfasst dieser lose Terminus die Tomatenstaude am Balkon ebenso wie Gemeinschaftsäcker, Hühner im Hinterhof, gemeinschaftliche Wildkräuterwanderungen oder Guerilla-Grafting.
In München bemüht sich das für alle Parks und öffentlichen Grünanlagen zuständige Gartenbaureferat um Zusammenarbeit mit Interessierten. Guerilla-Grafting gebe es in und auf diesen Flächen nicht, meint Sprecher Wolfgang Friedl: »Das ist sicher auch darin begründet, dass es dort bereits Streuobstwiesen und Obstbäume gibt.« Diese werden teilweise im Rahmen von Patenschaften durch Vereine oder die Kommune betreut. »Patenschaften von einzelnen Personen für Obstbäume würden allerdings den Betreuungsund Verwaltungsaufwand vervielfachen – das könnte der städtische Gartenbau personell nicht zusätzlich leisten.«Kirsche unbewässert aus dem eigenen Garten
Obst ernten oder aufsammeln dürfe im öffentlichen Raum ohnehin jeder. Außerdem würden – »wo möglich, konzeptionell gewünscht sowie standortgerecht« – auch in neuen Anlagen Obstbäume und -sträucher gepflanzt. Darüber hinaus hegt man durchaus Vorbehalte gegen die Guerilla-Obstgärtnerei: »Unsere städtischen Fachleute haben gegen diese Vorgehensweise erhebliche fachliche Bedenken, unabhängig von einer rechtlichen Würdigung. Kritisch wird die Arten- und Sortenauswahl gesehen, die Laien oftmals nicht zutreffend beurteilen können. Der Ursprungsbaum wird unter Umständen dauerhaft geschädigt, zumal durch den Veredelungsvorgang Krankheiten übertragen werden können«, heißt es aus dem Gartenbaureferat. »Auch die anschließende aufwendige Pflege von Obstbäumen wird oftmals nicht bedacht, ebenso wie der richtige Standort. Wer möchte zum Beispiel Äpfel oder Kirschen essen, die entlang viel befahrener Straßen wachsen? Da betreffende Wildgehölze meist in Hecken und an Gehölzrändern stehen, was ebenfalls nicht standortgerecht für Obstbäume ist, ergeben sich durch den Konkurrenzdruck zudem keine optimalen Bedingungen für Kultursorten«, so Wolfgang Friedl. Letzteres ist allerdings Ansichtssache: Die Denkschule der Permakultur wiederum propagiert genau solche Standorte und das Prinzip Waldgarten – eben den »Food Forest«.

Faktum ist, dass viel Wissen um die Veredelung von Wildgehölzen – früher gang und gäbe – verloren gegangen ist, weil diese Praxis in einer Welt des Intensivobstbaus zwangsläufig ins Abseits gedrängt wurde. Zeitgenössische Literatur dazu gibt es (noch) keine. Die Grafting-Aktivisten der Gegenwart holen sich ihr Wissen aus historischen Schriften der Botanik aus dem frühen 19. Jahrhundert, es kursieren Reprints alter Werke.
In Wien sind zwar einem alten Gassenhauer Rainhard Fendrichs zufolge die blühenden Bäume besonders beliebt. Zumindest Obstbäume wird man in den Innenbezirken heute dennoch vergeblich suchen. Was weniger an der Verbauung liegt als daran, dass das Stadtgartenamt damit schlechte Erfahrungen gemacht hat. »Die Bäume standen dort unter enormem Druck – im wahrsten Sinne des Wortes. Zur Ernte wurden regelmäßig Äste abgebrochen, die Bäume haben nicht lang überlebt«, berichtet Nikolai Moser aus dem Büro der Wiener Umweltstadträtin. Weshalb man Obstbäume und Pflückhecken von offizieller Seite nun wie Nachbarschaftsgärten behandelt – mit dem Vorteil, dass so ein Verein die Verantwortung für die Gehölze trägt. Auf dem Weg zur Zwei-Millionen-Stadt geht die am schnellsten wachsende Stadt im deutschen Sprachraum auch in den großen Stadterweiterungsgebieten nach diesem Prinzip vor. Auf den ausgedehnten Flächen am äußeren Rand des urbanen Gebiets – etwa auf den Steinhofgründen – pflanzte das Forstamt aber auch ohne solche Patenschaften Obstbäume. Moser: »Dort ist der Druck geringer, daher funktioniert das ganz gut.«

Fälle von Guerilla-Grafting sind in Wien bislang zwar keine dokumentiert. Wie man im Fall des Falles damit umgehen soll, weiß Eva Hofer-Unger von den Wiener Stadtgärten allerdings: »Eine Veredelung bedeutet immer auch eine Verletzung der Pflanze. Wenn diese gärtnerisch einwandfrei durchgeführt wird und keine direkte Beeinträchtigung, Belästigung oder Rutschgefahr durch liegen gelassenes faules Obst besteht, dann würden wir das aber durchaus dulden.« Diese Herangehensweise des Laisser-faire hat sich für Hofer-Unger, in deren Referat neben dem »Gartentelefon« auch die Förderung von Nachbarschaftsgärten fällt, bewährt: »Solange sich nachweislich jemand darum kümmert, ist das alles kein Problem«.
In Hamburg wiederum hat sich gezeigt, dass an den Bäumen sogar Geld hängt. Das klingt nach Schlaraffenland – was wohl eine gewollte Assoziation und im Sinne des Gründers von »Das Geld hängt an den Bäumen« ist. Man merkt: Der Unternehmer Jan Schierhorn ist ein gewiefter Vermarkter. 2009 rief der engagierte Werbeprofi die Hanseaten erstmals zu Apfelspenden auf. Ihm war aufgefallen, dass nicht nur bei ihm im Garten ein Gutteil der Äpfel, zu Boden gefallen, verfaulte, sondern dass auch Freunden und Bekannten mitunter Muße und Motivation fehlten, das reife Obst aufzuklauben. Jammerschade! Privat seit Längerem darum bemüht, sinnvolle Arbeitsplätze für schwer vermittelbare Kräfte zu finden, zählte Schierhorn eins und eins zusammen und entwickelte kurzerhand eine Geschäftsidee.
In der Erntezeit schickt er seither Pflücker – derzeit zehn Menschen mit geistiger Behinderung – zu den Baumbesitzern, auf Streuobstwiesen im Umland und in die Plantagen von Umstellerbetrieben. Die gespendeten Äpfel werden zu Saft gepresst und dieser schließlich gemeinsam mit der integrativen Idee unter dem Namen »Das Geld hängt an den Bäumen« vermarktet. Das Produkt, das strikt nach Slow-Food-Kriterien entsteht, entscheidet immer wieder Verkostungen für sich, das kompakte Saftmobil ist auf Märkten, Messen und Firmenfeiern präsent, und auch die Stadt ist sichtlich stolz auf das Social Business. Gibt es offizielle Termine, dann darf Schierhorns süßer Saft aus »Nachbars Garten« – so der Markenname – nicht fehlen.
Mittlerweile wird ein gar nicht geringer Teil der Äpfel auf den kommunalen Streuobstwiesen, die von der lokalen Behörde für Umwelt und Energie gepflanzt wurden, abgeschüttelt. Auch an der Hotelbar des Sofitel beweist die dort ausgeschenkte Apfelschorle, dass das außergewöhnliche Motto keine leere Versprechung bleibt: Das vom Baum geholte Geld bringt dabei sogar Überschüsse, die wiederum sozialen Projekten zugutekommen. So hat man mit dem Verein »fördern und wohnen«, einer Suchtberatungsstelle, die aber aktuell auch Flüchtlinge betreut, sogar selbst alte Apfelsorten ausgesetzt und gemeinsam eine eigene Streuobstwiese angelegt. Zudem kümmert sich der Verein auch um Rhabarberfelder und ein Holunderwäldchen – denn Apfelmischsäfte werden besonders stark nachgefragt.
Neben vom Baum geschütteltem Geld wird an der Elbe zwar auch ein sogenannter »Null-Euro-Urbanismus« praktiziert: Seit 2005 bietet die Hansestadt unter diesem Namen Unternehmen wie Privatpersonen die Möglichkeit, sich als »Grünpaten« zu betätigen. Außer bepflanzten Kreisverkehren können Bürger auch sogenanntes Straßenbegleitgrün betreuen und in Form halten. Obst oder gar die gezielte Veredelung von Wildgehölzen ist dabei allerdings kein Thema. Auch Fälle von Guerilla-Grafting sind bis dato keine bekannt. »Ich muss gestehen: Ich musste den Begriff erst googeln – mir war der Terminus nicht geläufig«, meint der sonst überaus kundige Hamburger Stadtplaner Jakob F. Schmid. Wobei er nicht ausschließt, »dass es auch hier ein paar Leute gibt, die das praktizieren«.
Du siehst: Beispiele für angewandtes Grafting gibt es noch nicht allzu viele. Unter Berufung auf die »Kostbaren Landschaften« aus Ottensheim und die längst unüberschaubare Anzahl florierender Nachbarschaftsgärten solltest du argumentativ allerdings bestens ausgerüstet sein, um mit deinem Ansinnen, ganz offiziell zum Obstbaumpaten zu werden, am Stadtgartenamt vorsprechen zu können – oder in kleineren Gemeinden auch direkt beim Bürgermeister. Damit solltest du die Behörden überzeugen können, dass Guerilla-Grafting kein Teufelszeug ist.
Stößt du mit deinem Anliegen trotzdem auf Ablehnung, dann kannst du ja immer noch den Ratschlag der Genossen aus San Francisco beherzigen: Dann such dir einen Komplizen und seht zu, dass ihr nicht wie betrunkene Amateure wirkt. Womöglich braucht ihr neben etwas Geschick und Geduld halt auch ein wenig Glück.

Tipps

Solltest du Wildgehölze graften wollen, dann brauchst du da draußen Bestimmungsbücher. Ein Standardwerk, das auch anfängertauglich ist, stammt von Gottfried Amann: Bäume und Sträucher des Waldes. Da du zum Veredeln oft in einer Jahreszeit unterwegs bist, in der die Pflanzen noch keine Blätter tragen, hast du am besten auch Knospen und Zweige der einheimischen Baum- und Straucharten von Jean-Denis Godet dabei; ebenfalls ein botanischer Klassiker. Beide Bücher sind im Verlag J. Neumann-Neudamm erschienen.
Nirgendwo sonst scheinen Guerilla-Grafter so aktiv zu sein wie in San Francisco, wo das Modifizieren öffentlicher Bäume jedoch wie Graffiti als Vandalismus angesehen wird.
www.guerrillagrafters.org
Brauchbare Anleitungen zum Veredeln unterschiedlicher Arten bietet diese einschlägige Website. Hier erfährst du etwa, welches Edelreis auf welche Unterlage passt.
www.veredeln.info
Bereits über 30 000 Menschen vor allem aus dem deutschen Sprachraum nutzen diese Plattform, um in der Standorte-Landkarte öffentlich Kräuter und Obst(bäume) zu teilen.
www.mundraub.org
Einzigartig in Europa ist nicht nur der seit den 1960er-Jahren als Permakultur geführte Krameterhof im Lungau (bis vor Kurzem von Ökopionier Sepp Holzer, nun von seinem Sohn Josef). Einzigartig sind auch die zweitägigen Waldgarten-Kurse und Veredelungs-Workshops, die Richard Mahringer und Michael Gunz hier abhalten – Schnittübungen mit Feedback inklusive.
www.krameterhof.at

aus Thomas Weber
100 Punkte Tag für Tag
Miethühner, Guerilla-Grafting und weitere alltagstaugliche Ideen für eine bessere Welt

Residenz Verlag